Reise in die Vergangenheit
Letzte Woche wollte ich
mit meiner Tochter zum DM fahren. Leider war es so, dass die Straße die ich sonst immer fahre, wegen Bauarbeiten gesperrt ist. Schöner Mist, denn ich hasse es durch die Stadt zu fahren. Was tat ich also, ich fuhr am Kreisverkehr einfach rechts raus, obwohl ich genau wusste, dass ich dorthin fuhr, wo ich eigentlich ungern hinfahre. Also gönnten wir uns eine Reise in die Vergangenheit.
Als ich meinem Wohnort,
indem ich aufwuchs und groß geworden bin, immer näher kam, wurde mir ganz anders. Ich fühle mich jedes Mal unwohl, wenn ich in diese Richtung fahre, auch wenn ich nur durchfahre, aber das reicht mir schon. Ich muss diese Reise in die Vergangenheit nicht haben, denn es gibt mir nichts, außer schlechte Erinnerungen.
Erinnerungen,
an die ich eigentlich nicht denken will. Klar gibt es auch schöne Erinnerungen, wie zum Beispiel der Rodelberg, wo wir als Kinder immer hingingen, zum Schlitten oder Ski fahren. Damals gab es ja noch Winter, richtige Winter und da konnte man jedes Jahr hingehen. Außerdem habe ich meine erste, große Liebe in diesem Ort gefunden und all die Sachen erlebt, die man eben mit der ersten, großen Liebe erlebt. Das Zelten, die Schleichwege, wo man damals Moped und Auto fahren gelernt hat. Die Dorfdiscos, zu Fuß hin und zu Fuß zurück oder gestapelt, bei irgendwem im Auto. Ach ja, es gibt doch ein paar schöne Erinnerungen, aber leider überwiegen die schlechten.
Deshalb mag ich
diese Reise in die Vergangenheit nicht. Sie erinnert mich immer nur an all das was geschehen ist. Das ich Eltern hatte, denen der Alkohol wichtiger war. Ich einen Vater hatte, der im Suff Frauen (meine Mutter) geprügelt hat. Das meine Kindheit meistens nur aus Angst bestand, weil ständig gesoffen wurde. Diese Angst er könnte sie wieder schlagen war immer da. Hinzu kam, dass ich noch eine kleine Schwester hatte, die ich auch beschützen musste. Her Gott, ich war selbst noch ein Kind und durfte keines mehr sein.
Das Gerede der Leute über meine Eltern.
Ich wurde verurteilt dafür, sodass ich wenig Freunde hatte. Wenn ich heute dadurch fahre, kommen diese Gedanken wieder. Was, wenn mich einer sieht und erkennt, ob sie immer noch so blöde reden? Es ist Quatsch, dass weiß ich, aber die Gedanken sind da. Dieses Leben, das Erwachsen werden in diesem kleinen Dorf, wo jeder jeden kennt, war mich ein Graus. Egal was ich hätte machen können, ich war immer die von den Säufern.
Eine Reise in die Vergangenheit
versetzt mich auch immer wieder in die Vergangenheit zurück. Ich könnte auch zum Friedhof fahren, aber ich schaffe es nicht. Mich könnte ja dort jemand sehen oder gar mich wiedererkennen und dann geht das Gerede wieder los. Wenn ich ganz viel Pech habe, spricht mich noch jemand an und ich muss meine Maske wieder aufsetzen. So tun, als wäre alles toll, mich geben wie ich gar nicht sein will. Deswegen meide ich den Friedhof, aber auch, weil ich nicht zu meinem V. will. Ich kann es einfach nicht.
Als ich klein war,
habe ich immer gesagt, dass ich mal so werden will, wie mein Papa. Aber das hat sich dann ganz schnell geändert. Er war ein Egoist durch und durch. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass er ein Einzelkind war und ohne Vater aufwuchs, aber er hat immer seinen Willen bekommen und immer das durchgesetzt was er wollte. So war es auch mit meiner Mom. Er wusste ganz genau, dass sie keinen Alkohol mehr trinken durfte und dennoch hat er seinen Willen durchgesetzt. Denn er wollte auch mal ein Bier trinken. Ja was hat es ihm gebracht, nichts. Als er dann meine Mom endlich unter die Erde gebracht hatte, heulte er wie ein Kleinkind und führte sich auch so auf. Er wusste es doch, er wusste ganz genau was passiert, wenn sie wieder Alkohol trinkt, aber es hat ihn erst interessiert, als sie nicht mehr da war.
Es regt mich jedes Mal wieder auf.
Das Gleiche hat er mit meiner Oma abgezogen. Hauptsache der Alkohol ist da, ob die eigene Mutter was zu essen und zu trinken bekommt, ist scheiß egal. Schlimm finde ich, dass ich mir selbst Vorwürfe mache, denn wenn ich jeden Tag hingefahren wäre oder ich mich mit meiner Schwester hätte abwechseln können, wäre sie vielleicht noch am Leben. Ich hatte damals zwei kleine Kinder zu versorgen und konnte nicht jeden Tag die weite Strecke fahren. Aber nein, meine Schwester hat sich zurückgezogen, wenn gesoffen wurde und jetzt wo alle unter der Erde liegen, bekommen sie regelmäßigen Besuch. Schon irgendwie düster, zu Lebzeiten wollte sie nichts mit ihnen zu tun haben und jetzt sehen die Gräber aus wie geleckt. Unglaublich.
Wie ihr merkt,
tut mir eine Reise in die Vergangenheit nicht gut. Es regt mich einfach nur total auf und ich merke, weshalb ich immer einen Riesen Bogen um diesen Ort mache. Ich will das einfach nicht, es tut nur weh und reißt sämtliche Wunden wieder auf. Ich habe nur noch eine Schwester, aber auch sie ist nicht wirklich da. Wenn ich später nicht mehr da bin, sieht mein Grab bestimmt auch so toll aus. Sie kann scheinbar nur mit uns klarkommen, wenn wir uns die Radieschen von unten angucken.
Nichts desto trotz habe ich meiner Tochter,
meine damalige Schule gezeigt und auch den Weg zu meinem Elternhaus. Vorbeifahren konnte ich auch nicht. Beim rausfahren aus dem Ort, konnte ich sehen, dass der damalige Balkon erhalten wurde und schön gemacht wurde. Allgemein haben die Käufer das Haus toll gemacht. So hätte ich es mir damals auch gewünscht, aber naja Alkohol war immer wichtiger. Meine Tochter war damals noch ganz klein, sie kann sich kaum erinnern und darüber bin ich irgendwie froh, weil sie auch nicht mehr wissen will.
Mir wurde nur wieder bewusst,
dass meine Kinder so etwas nie erleben sollen und das haben sie auch nicht. Klar ich trinke mein Weinchen und wir feiern auch mal ne Party (oh je, die nächsten Jahre sind vollgestopft mit Partys), aber alles ohne Gewalt und ohne Saufen bis zur Besinnungslosigkeit. Ich möchte das für meine Kinder nicht, wollte ich nie und deshalb achte ich so darauf. Denn so ein Elternhaus macht Kinder kaputt. Mich hat es das zumindest gemacht, was mit meiner Schwester ist kann ich nicht sagen. Ich denke aber, dass das nie wieder was wird. Es ist schade für meine Kinder, dass sag ich immer wieder, denn sie haben niemanden mehr, außer uns. Aber sie will es wohl nicht und ich erzwinge auch nichts mehr.
Meine Kinder sind mittlerweile so groß,
sie kennen es erstens ja nicht anders und sie merken es ja nun auch selbst, wie sehr sich doch ihre Tante für sie interessiert. Es kamen ja nicht mal Glückwünsche zum Abschluss für meinen Sohn, obwohl ich es weiß Gott überall gepostet und öffentlich gemacht habe. Heute war er in der Zeitung, weil vor der Schule Fotos gemacht wurden. Man muss sich mal vorstellen, erst als sie es in der Zeitung liest, meldet sie sich. Sie hat von uns allen die Handynummern, jeder postet ständig und überall und sie gratuliert erst, wenn es in der Zeitung steht??? Vielleicht überdramatisiere ich das ja, aber für mich zeigt es nur, dass sie null Interesse an mir und meiner Familie hat. Meinen Kindern ist es mittlerweile auch egal, denn sie haben ja von ihrer Tante eh nichts.
Eine Reise in die Vergangenheit
Sie haben schon gesagt, Mama ist mir egal, ob du Kontakt mit ihr aufrecht hältst oder nicht. Ist das nicht traurig? Was stimmt mit ihr nicht? Warum kann sie nur mit uns, wenn wir tot sind? Ich kapiere es nicht. Früher dachte ich ja immer, es liegt daran, dass wir nicht so einen hohen Lebensstandard haben wie sie. Mittlerweile glaube ich, selbst wenn wir Millionen auf dem Konto hätten, würden wir nicht klarkommen. Zu meinen Monstern habe ich schon gesagt, ich werde in meinem Testament festhalten, dass sie sich als Geschwister immer vertragen sollen und sich gegenseitig unterstützen und helfen und nicht so, wie ihre Tante und ich.
Ich hoffe
meine Kinder bekommen das hin. Das und Enkelkinder wünsche ich mir. Ja ich weiß, ist noch ein bisschen hin, aber ich freue mich trotzdem drauf.
Das war meine Reise
in die Vergangenheit. Denkt immer daran, Familie ist wichtig. Liebt sie und seid für sie da, solange sie noch am Leben sind und nicht erst wenn sie unter der Erde liegen.
Sollte jemand einen Tipp
oder eine Idee für mich haben, weshalb meine Schwester so drauf ist, bitte meldet euch. Denn ich verstehe es nicht. Lieben Dank und bis zum nächsten Mal.