Mom
talk about it

Mom

Heute ist der 15. Januar,

für viele ein Tag wieder jeder andere, nur nicht für mich. An diesem Tag änderte sich schlagartig mein ganzes Leben.

Meiner Mom ging es schon ein paar Tage nicht gut und es war ein Dienstag. Ich hatte meinen egoistischen, versoffenen Vater endlich soweit, dass wir am nächsten Tag mit ihr zu einem Arzt fahren, dazu sollte es aber nie kommen.

Ich lag in meinem Zimmer im Bett,

als er in der Nacht zu mir kam und sagte „Ines du musst den Notarzt anrufen, Mutti atmet nicht mehr“. Ja genau, mein Vater kam zu mir, weil er nicht in der Lage war sowas zu tun. Das tat ich dann und ich wartete draußen auf den Krankenwagen. Wie das so ist, dauerte es, wenn man auf dem Dorf legt eine Ewigkeit bis die endlich ankamen. Die ganze Zeit stand ich verzweifelt und allein an der Straße und hab gebetet und immer zu gesagt „komm zurück“. Es war zu spät, sie haben alles versucht, aber der Körper meiner Mom oder vielleicht auch sie selbst hat aufgegeben, nach jahrelangen Misshandlungen und Alkoholkonsum und sie starb in dieser Nacht, was meine ganze Welt erschütterte.

Mein Vater saß einfach nur da

und heulte, ich sagte gar nichts und rief das Bestattungsinstitut an, damit sie abgeholt werden konnte. Allerdings machte ich noch den Fehler und ging ins Schlafzimmer, um sie ein letztes Mal zu sehen. Irgendwann in den frühen Morgenstunden wurde sie abgeholt und mein Vater heulte noch immer und er wollte nicht allein sein in dieser Nacht und schlief bei mir. Wenn man es schlafen nennen konnte, denn ich habe kein Auge zugekriegt.

Ab da fing ich an das erste Mal

zu funktionieren, was mir jetzt erst bewusst wird. Ich war damals 23 Jahre alt und habe den liebsten Menschen den ich hatte verloren, den Menschen mit dem ich wirklich über alles reden konnte, den Menschen mit dem ich alles machen konnte, mit dem ich lachen und weinen konnte, ohne mich dafür zu schämen. Auch wenn meine Mom alkoholkrank war, durch meinen Vater, durch ihre Kindheit und wahrscheinlich ihre Sorgen und Probleme ertränkt hat und ich ihr immer helfen wollte, was mein Vater letztendlich durch seinen Egoismus wieder zerstörte und sie wieder anfing zu trinken, war sie meine Mom, meine Vertraute, meine beste Freundin.

In dieser Nacht und überhaupt,

kann ich mich nicht einmal dran erinnern, dass ich richtig um sie geweint habe, denn ich musste funktionieren, weil mein versoffener Vater es nicht konnte. Er war ein Wrack, wie ein weinerliches Kind, um das man sich kümmern musste, dass man nicht mal alleine lassen konnte, weil jeder Angst hatte, er würde sich was antun. Ich weiß bis heute nicht, ob er ein schlechtes Gewissen hatte oder ob er einfach nur nicht alleine sein wollte.

An diesem Tag

fuhr ich nachmittags zu meiner Schwester, ja das musste auch ich tun, um ihr zu sagen was passiert ist. Auch sie weinte, obwohl sie auch selten da war. Vor allem wenn zu Hause getrunken wurde, hat sie sich zurückgezogen, zu ihrem Freund und dessen Familie, denn da war alles so, wie sie es scheinbar immer wollte.

Ich funktionierte einfach.

Zu diesem Zeitpunkt kannte ich meinen jetzigen Mann schon und um mich abzulenken telefonierte ich mit ihm und irgendwann hieß es von der Seite meiner Family aus, ich würde eine hohe Telefonrechnung verursachen. Hinzu kamen Sprüche wie „du siehst aus wie deine Mom“ oder „du machst beim Schlafen Geräusche wie sie“, denn meinen weinerlichen Vater konnte man ja nicht alleine lassen und so schlief er bei mir, jede Nacht und ich funktionierte.

Ich kümmerte mich um alles,

um die Beerdigung, fuhr hier hin und da hin, na eben alles, was man so macht, was man für eine Beerdigung braucht und alle anderen saßen da und trauerten und meine Wut auf meinen Vater wurde von Tag zu Tag größer. Denn es war seine Schuld, hätte er auf die Ärzte gehört, wäre er nicht so egoistisch gewesen, hätte sie noch leben können.

Irgendwann war dann Beerdigung

und auch da habe ich nicht wirklich geweint, ich konnte es nicht. Erst ging es nicht, weil ich mich um alles zu kümmern hatte und auf der Beerdigung ging es nicht mehr und auch danach nicht. Alle um mich herum weinten, immer und immer wieder und ich fragte mich die ganze verdammte Zeit „warum heult ihr jetzt, warum habt ihr nichts getan, warum habt ihr nur zugesehen wie sie nach und nach zugrunde geht“. Diese Vorwürfe habe ich vor allem meinem Vater gemacht. Meine Therapeutin sagte mir 17 Jahre später, das das alles, was ich getan habe in dieser Zeit, gar nicht meine Aufgabe gewesen ist, das hätte mein Vater machen müssen, aber er tat nichts, wie er nie was getan hat.

Nicht einmal hat mich jemand gefragt,

wie es mir geht, ob ich geweint habe, alle waren nur froh, dass sie sich nicht kümmern mussten und waren mit sich selbst beschäftigt und ihrer Trauer. Am Ende war ich der Rammbock für alle, jeder hat seinen Frust an mir ausgelassen, bis ich so verzweifelt war, dass ich damals meinen jetzigen Mann bat mich zu holen, was er tat. Ich bin geflüchtet vor all dem, der Heuchelei, den Lügen, den Geschichten, wie toll doch immer alles war.

Ich hatte es so satt,

keiner sprach über den Alkohol, über die Schläge, die gebrochenen Rippen, den blauen Augen. Nein im Gegenteil, mein Vater entwickelte eine Obsession, in dem er überall Fotos von meiner Mom aufhing, ihr im Garten sogar eine Art Schrein baute und jeden Tag dort eine Kerze anzündete und zum Friedhof fuhr. Als sie tot war kümmerte er sich um sie und ich ging und nicht einer hat mir eine Träne nachgeweint. Wahrscheinlich dachten sie, na endlich ist das schwarze Schaf der Familie weg. Ich habe keine Ahnung, es ist mir mittlerweile auch egal, denn mein Vater ist 10 Jahre später gestorben, 8 Wochen nachdem er meine Oma auch auf dem Gewissen hatte, da er sich auch um sie nicht gekümmert hat und meine Schwester auch nicht wirklich.

Ja auch da rief er mich an,

sprach sogar auf den Anrufbeantworter „Ines du musst kommen, Omi ist tot“, genau wie mit meiner Mom, auch da musste ich mich wieder um alles kümmern. Und als ich dort ankam, brach es mir das Herz, als ich meine Oma da liegen sah, nur weil er es im Suff nicht mitgekriegt hat. Ich hasse diesen Mann so sehr.

Wie gesagt,

acht Wochen später fanden wir ihn, er war gestürzt, Schädelbasisbruch und ich kam mir vor, wie in einer Folge von CSI. Auch hier, meine Schwester war nie da, hat sich nie gekümmert, es hat sie nie interessiert oder sie hat es verdrängt, keine Ahnung und sie steht da, mit verheulten Augen. So war es immer, sie heulte, trauerte und kümmert sich bis heute um die Gräber. Meine Schwester ist immer für die Familie da, wenn sie gestorben sind, Dann macht und tut sie. Ich versteh es nicht und will es auch nicht mehr versuchen.

Es gibt ein Foto,

von meiner Familie im Haus und das ist von meiner Mom, andere Fotos kann ich nicht ertragen. Es ist heute 23 Jahre her, mein Leben ist seitdem anders. Ich habe keinen Kontakt mehr zu meiner Schwester, es ist einfach zu anstrengend und ich fühle mich seitdem besser. Ich kontrolliere mich seitdem, wieviel Alkohol ich trinke, ich hatte 2018 meinen Zusammenbruch, den ich mir schwer eingestehen konnte, aber heute bin ich froh darüber, denn ich habe viel gelernt, dass es nicht meine Schuld ist, dass ich es nicht hätte anders machen können. Und wisst ihr was, es ist heute 23 Jahre her und meine ach so liebe Familie hat es geschafft, das ich nur funktioniere und in 23 Jahren nicht einmal richtig geweint oder getrauert habe, um meine Mom.

Nein,

ich habe stattdessen wieder mal oder immer noch eine Angststörung entwickelt. Ich habe Angst vorm Sterben, Angst so zu enden, wie meine Mom, denn meine Mom ist mit 46 gestorben und hier heute, bin ich 46 und stehe kurz vor meinem 47. Geburtstag. Auch wenn mein Leben anders ist, ich kein Alkoholproblem habe, regelmäßig zu Ärzten gehe. Aber durch all den Mist im letzten Jahr und all den Ängsten die dadurch kamen, die mein Kopf mir einredet, was ich jetzt weiß, hoffe ich, dass es mit dem heutigen Tag und meinem Geburtstag besser wird, denn da habe ich sie überlebt.

Mom,

ich denke hin und wieder an dich und es tut mir leid, dass ich dir nicht so helfen konnte, wie ich es wollte, denn er hat es nicht zu gelassen. Wäre ich damals schon so stark gewesen und hätte ich gewusst, was ich heute weiß, hätte ich anders gehandelt. Wir sehen uns irgendwann und hab viel Spaß, dort wo auch immer du bist.

P.S.

Hiermit möchte ich darum bitten, etwaige Rechtschreibfehler NICHT zu kommentieren. Ich bin auch nur ein Mensch, ich mache Fehler. Das ist kein Makel, sondern menschlich.

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